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LIEBE LESERIN, LIEBER LESER

Als ich das Freibad verlasse, sitzt er auf der Bank vor dem Eingang. Drinnen ausgelassenes Treiben im kühlen Nass – hier draussen Stille und eine schier unerträgliche Hitze. Der Asphalt strahlt die aufgenommene Wärme ab, das Thermometer zeigt 34 Grad. Niemand verweilt freiwillig länger hier.

Das Hemd bis oben zugeknöpft, lange Hosen, Socken, schwere Lederschuhe an den Füssen, einen Rucksack neben sich. Ich kann die Gesichtszüge des alten Mannes nicht deuten. Er scheint weder frustriert noch freudig. Fühlt er sich vor den Toren des Schwimmbads ausgeschlossen? Weshalb hat er sich diesen Sitzplatz ausgewählt? Wartet er auf jemanden?

«Hallo. Heiss heute, wie? Kann ich Sie irgendwohin mitnehmen?», erkundige ich mich. Seine kleinen blauen Augen fixieren mich scharf. Darauf bin ich nicht vorbereitet. «Warum fragen Sie das?» Er ist voll präsent. «Ich steige grundsätzlich bei keinem Fremden ins Auto!» Nun bin ich dran. «Ja, Sie haben recht, man sollte nicht mit jemandem mitfahren, den man nicht kennt.» Er scheint beruhigt über der gleichen Einschätzung der Lage. «Früher fuhr ich mit der Bahn, doch heute sind das alles Geisterfahrer», erzählt er weiter und scheint es nun zu geniessen, mir seine Realität zu erklären. Er lebt offensichtlich in einer anderen als ich. Die Begegnung ist kurz, beschäftigt mich aber noch lange – allein unter Menschen.

«Du bist ein Gott, der mich sieht.»

Marianne Burkhardt, meine Cousine, ist Mutter eines autistischen Sohnes. Im Interview erzählen sie und ihr Mann aus ihrem Familienleben. Autisten haben Probleme, soziale Kontakte zu knüpfen, tun sich schwer, Mimik zu deuten, und gelten als sonderbar. Aber auch sie haben Gefühle, manchmal sogar intensivere als andere. Sie können sie jedoch schlecht ausdrücken und bleiben unverstanden. «Oft wünschte ich, die Menschen wären numeriert», sagte ein Betroffener.

Das Interview möchte Einblick geben in die Welt von Autisten und aufzeigen, mit welchen Herausforderungen die Angehörigen konfrontiert sind. Auch hier ist die Brücke zu einem «Miteinander» das Bestreben, zu verstehen. Lesen Sie dazu «Einfach nur Kay», ab Seite18.

Nicht nur Autisten kennen das Gefühl, unter Menschen einsam zu sein. Wohl jeder trägt irgendwann einen Schmerz in sich, den niemand wahrnimmt oder nicht wirklich versteht. Da muss ich an den kranken Mann am Teich von Bethesda denken. 38 Jahre lag er schon dort! Wie viele Menschen sind wohl in der langen Zeit achtlos an ihm vorübergegangen? Wie grenzenlos musste seine Einsamkeit sein!

Doch da kommt Jesus. «Als Jesus ihn liegen sah und vernahm, dass er schon so lange krank war, spricht er zu ihm: Willst du gesund werden?» (Joh. 5,6).

Jesus sieht ihn! «Du bist ein Gott, der mich sieht», lesen wir in 1. Mose 16,13. Der Herr übersieht keinen; er weiss um jede Not.

«Willst du ... ?» Diese Frage stellt Gott dir und mir. Willst du deine Schuld bei mir loswerden? Willst du mich zum Freund haben? Jemanden, der dich immer versteht und liebt?

Wo Jesus in ein Leben tritt, hat die Einsamkeit ein Ende. Seine Liebe ist grenzenlos und findet auch den Weg zu Menschen mit einer Behinderung.

In der Nachfolge Jesu können die Stolpersteine auf unserem Weg zum Sprungbrett für ein immer befreiteres Leben werden. Ich empfehle Ihnen dazu den Artikel von Nicola Vollkommer ab Seite 14.

Herzliche Sommergrüsse, Ihre

Daniela Wagner-Schwengeler
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2017-07-26

INPUT

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l Auf dein Wort hin ...

Von jenem Tag an bis heute haben Menschen gelernt, dass, wenn sie auf Gottes Geheiss ihm das Liebste opfern, er ihnen dieses Opfer tausendfach erstattet. Abraham gab auf Gottes Befehl seinen einzigen Sohn her. Damit entschwanden alle seine Hoffnungen für das Leben des Jungen und für eine Familie,…

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LIEBE LESERIN, LIEBER LESER Als ich das Freibad verlasse, sitzt er auf der Bank vor dem Eingang. Drinnen ausgelassenes Treiben im kühlen Nass – hier draussen Stille und eine schier unerträgliche Hitze. Der Asphalt strahlt die aufgenommene Wärme ab, das Thermometer zeigt 34 Grad. Niemand verweilt…

REPORTAGE

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l ALLES IM BLICK – Libellen

Warum es fast unmöglich ist, sich unbemerkt einer Libelle zu nähern.

FOCUS

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l FOKUS

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PERSPEKTIVENWECHSEL

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l AUS STOLPERSTEINEN SPRUNGBRETTER MACHEN

Werkzeuge aus meinem persönlichen Baukasten – vom Umgang mit Versagen.

INTERVIEW

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l EINFACH Kay – UND ERST IN ZWEITER LINIE AUTIST

Der Mensch ist auf Beziehung «angelegt», es ist sozusagen sein existentielles Grundbedürfnis. Nicht so bei autistischen Personen. Es fällt schwer, sich in deren Welt einzufühlen. Im Gespräch geben Marianne und Beat Burkhardt Einblicke in ihr Familienleben. Ihr Sohn Kay ist autistisch.


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l EIN STOTTERER FINDET Worte EWIGEN LEBENS

Im Krieg aufgewachsen, wird Theodor Rehm durch traumatische Erlebnisse zum Stotterer. Dennoch wird er Prediger und sieht sich als ein von Gott reich Beschenkter.

EINANDER SEHEN

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l Chancen UND Grenzen  BIBLISCHER SEELSORGE

Seelsorge innerhalb der Gemeinde wieder ganz neu entdecken.

PERSÖNLICH

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l ACH,  WIE peinlich!

War Ihnen schon mal etwas so richtig, richtig peinlich, so sehr, dass Sie am liebsten im Boden versunken wären? Ist mir kürzlich passiert.

GESUNDES LEBEN

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l ENDLICH fit UND fröhlich – einfache Tipps für einen gesünderen Alltag.

Für mich ist ein Leben ohne Sport nicht denkbar. Das mag an meiner Kindheit liegen – ich bin in einer fussballverrückten Grossfamilie und sehr ländlich aufgewachsen. Schon der Weg zur Schule war mit Radfahren verbunden, und da ich immer erst auf den letzten Drücker das Haus verliess, gab es ausser…

POSTER

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l gemeinsam

Grosses hat der Herr für uns getan, darum freuen wir uns sehr!

LESERBRIEFE

l LESERBRIEFE

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MIT WERTEN ERZIEHEN

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l TATSACHEN UND WELTANSCHAUUNGEN IM UNTERRICHT

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ALLTAGSTAUGLICH

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l DIE RICHTIGE ART ZU KLAGEN

Ich war einmal Zeuge des Todes einer christlichen Jugendarbeit. Sie war dynamisch und freudig für Jesus unterwegs ... gewesen. Die Krankheit kam schleichend. Einige Mitarbeiter fühlten sich in der Erfolgsgeschichte zu kurz gekommen und forderten eine Aussprache. Ihr Wunsch nach mehr Mitspracherecht…

AKTUELL

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Seit Jahren tobt ein erbitterter Streit um den Jerusalemer Tempelberg. Jüngstes Beispiel: Eine Resolution der Unesco vom letzten Herbst bezeichnete ihn explizit als muslimische Stätte. Die Tatsache, dass hier einst ein jüdischer Tempel stand, wird trotz aller wissenschaftlicher Erkenntnisse geleugnet.

ZEITZEICHEN

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Naturwissenschaft: Der neue Gott (et.) Die Leitung der Berliner Ortsgruppe des Humanistischen Verbands (HVD) möchte laut einer Pressemitteilung das Dach des Berliner Schlosses nicht durch ein Kreuz gekrönt sehen, sondern durch ein Mikroskop. Diese Forderung stellt eine weit verbreitete Haltung dar.…

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l EIN SACK VOLL MURMELN (UN SAC DE BILLES)

Eine Verpflichtung zur Erinnerung: berührendes Filmdrama über eine jüdische Familie während der Nazizeit in Frankreich.

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l JUGENDMIX

Nach einer speziellen Ausbildung zum Geheimdienstagenten wurde ich 1978 in die USA geschickt, mit 6000 Dollar in der Tasche und einer falschen Identität: Ich war jetzt Albrecht Dittrich alias Jack Barsky und sollte als Maulwurf an geheime Informationen kommen. Fast zwanzig Jahre lang arbeitete ich während des Kalten Krieges als Spion für die Sowjetunion. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR spionierte ich für Russland. Ich hatte keine Moral und kein Problem damit, Gesetze zu brechen. Im Laufe meines Lebens habe ich viele schlimme Dinge getan und einige Menschen sehr verletzt.

JUGENDMIX

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Schnell genäht und universell einsetzbar ist der kleine Behälter aus einem Jeans-Hosenbein.

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Um ganz ehrlich zu sein: Rumänien stand nie auf meiner «Reiseliste»! Was ich über das Land wusste, entnahm ich Büchern, die die Situation der Christen zur Zeit des Kommunismus schilderten. Gemeinsam mit meiner Cousine Simone hatte ich im Januar und Februar 2017 das Vorrecht, die Arbeit von ethos…

KIDS

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l IN SEENOT

Emma und Marvin sind mit ihren Eltern umgezogen. Jetzt wohnen sie an der Ostsee. In ihrer alten Heimat waren sie täglich mit den Zwillingen Fabian und Fiona zusammen, die im Nachbarhaus wohnten. Es war klar, dass die beiden in den Sommerferien an die Ostsee kommen würden. Heute ist der erste…

GESUNDHEIT

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Ratgeber

l HIRTENTÄSCHEL

Geschätzt wegen seiner blutstillenden Wirkung.

REZEPT

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l Rindshuft MIT MANGO-CHILI-GEMÜSE

Für 4 Personen 500–600 g Rindshuft am Stück 1 Zitrone 1 Knoblauchzehe 1 Esslöffel Senf 2 Esslöffel Olivenöl für die Marinade 2 nicht zu weiche Mangos 1 Bund Frühlingszwiebeln 1 rote Chilischote oder 1 Peperoncino 4 Esslöffel Olivenöl zum Dünsten und Braten 50 ml Hühnerbouillon Salz Für den…

BÜCHER & CO.

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l Bücher

Charaktersache «Dieses Buch handelt von Integrität, Charakter und Werten. Die wichtigsten Merkmale eines integren Lebens werden anhand von Geschichten über Männer und Frauen aus der Bibel erklärt und illustriert. Das Verhalten offenbart den Charakter …» (S. 19) Diese Worte fassen…