
IM DORNGESTRÜPP DER GEWOHNHEIT GEFANGEN

Ich war es gewohnt, meine Fingernägel bis zum Fleisch abzukauen. Alles, was überstand – und war es auch noch so klein –, riss ich ab, sobald nur die ersten Zeichen neuen Wachstums zu erkennen waren. Mehr als zwanzig Jahre lang schämte ich mich dafür und war in körperlicher Hinsicht eingeschränkt.
Ich wollte so gerne damit aufhören, dass ich sogar nachts wach wurde und daran dachte. Aber die einfache Tatsache war – ich konnte es nicht. Trotz Schmerz und Qual hatte mich diese Angewohnheit – wie es allen Gewohnheiten eigen ist – fest im Griff.
Gott brachte mich in einem längeren Prozess liebevoll, aber doch gezielt dahin, einzusehen, dass es nicht in erster Linie um acht Finger und ein Daumenpaar, sondern um einen Bereich meines Lebens ging, der viel umfassender mit mir als Mensch zu tun hatte.
Ich war versklavt – beherrscht und manipuliert und im Dorngestrüpp der Gewohnheit gefangen. Ich war ein lebendiges Gegenstück zu der befreienden Wahrheit von 1. Korinther 6,12:
«Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles ist nützlich. Alles ist mir erlaubt, aber ich will mich von keinem beherrschen lassen.»
Sie können sich das Feuer der Überführung nicht vorstellen, das dieser Vers damals in mir entfachte. Das griechische Wort für «sich beherrschen lassen» bedeutet eigentlich «unter jemandes Autorität gestellt sein». Vermutlich denkt man zunächst nicht an «Autorität», wenn man sich mit Gewohnheiten beschäftigt, die einen beherrschen, aber genau diesen Begriff gebraucht Paulus hier.
«Die Gewohnheit ist ein Seil. Wir weben jeden Tag einen Faden, und schliesslich können wir es nicht mehr zerreissen.»
Horace Mann
Keiner ist vollkommen frei von schlechten Angewohnheiten, ungeachtet dessen, ob wir uns (leider) damit arrangiert haben oder ob sie gesellschaftlich inakzeptabel sind. Einige ringen mit Angewohnheiten, die weit verbreitet und üblich sind: Sie essen zu viel, übertreiben Dinge, schieben auf, was sofort erledigt werden müsste, sind fortwährend verschwendungssüchtig ohne Einsicht, andere kämpfen mit den Verlockungen sexueller Lust. Manche Menschen sind aus Gewohnheit schwatzhaft, besorgt und reizbar oder verwenden irgendwelche Flüche. All das wird oft praktiziert, ohne dass man sich schuldig fühlt, weil man sich clevere Strategien ausgedacht hat, mit denen man das Ganze gedanklich rechtfertigt. Die Liste ist endlos.
Diese Dornen behindern unser geistliches Vorankommen. Die schmerzhaften Dornen der Gewohnheit herauszuziehen, versetzt den Gläubigen in die Lage, weniger Aufmerksamkeit auf sich zu richten und sich dem einen mehr zuzuwenden, der es wert ist. Und der faszinierendste Gedanke dabei ist, dass er am Morgen gleich da sein wird – bereit, Ihnen durch den Tag zu helfen und Ihnen all die Kraft zu geben, die Sie brauchen werden, jeden Augenblick neu.
Sie brauchen einen Beweis? Wie ist es mit den zehn Fingernägeln und einer Nagelfeile? v
Aus: Riesen und Dornen – Vom Kampf und Sieg über sich selbst, Charles R. Swindoll, CLV